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Entscheidungsbesprechung: „Flüchtlingsheim“ ? VG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2015, AZ: 9 E 4775/14

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Entscheidungsbesprechung: „Flüchtlingsheim“ ? VG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2015, AZ: 9 E 4775/14

[title] Entscheidungsbesprechung: „Flüchtlingsheim“ ? VG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2015, AZ: 9 E 4775/14 [/title]

Nicht unumstritten war der Plan der Freien und Hansestadt Hamburg, im ehemaligen Kreiswehrersatzamt an den Sophienterrassen im Stadtteil Harvestehude Flüchtlinge unterzubringen. Am 22. Januar 2015 entschied das VG Hamburg über den Antrag im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen die Baugenehmigung angeordnet wird.

Mag der Beschluss des Verwaltungsgerichtes Hamburg auch viele Diskussionen und ein großes mediales Echo hervorgerufen haben, ist die Entscheidung des Gerichts zumindest aus juristischer Sicht nachvollziehbar getroffen worden. Um dies darzulegen, werden kurz die Besonderheiten der Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu wiederholen sein, bevor der Blick auf die maßgeblichen baurechtlichen Vorschriften gerichtet werden wird:

I. Einstweiliger bzw. vorläufiger Rechtsschutz

Grundsätzlich ist zwischen Klageverfahren und Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zu unterscheiden. Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz betreffen sogenannte Eilfälle, also Konstellationen, in denen der Ausgang eines möglicherweise langwierigen Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden kann, ohne dass die Unzumutbarkeitsgrenze für den Antragsteller überschritten werden würde. Diese „Eilbedürftigkeit“ ist bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stets zu hinterfragen.

Es besteht bei den Eilverfahren allerdings noch immer die Möglichkeit, dass die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens anders ausfällt – insoweit erklärt sich die Bezeichnung „einstweiliger“ oder „vorläufiger“ Rechtsschutz. Die Hauptsacheentscheidung – auch das ist den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemein – darf grundsätzlich auch nicht durch die Eilentscheidung vorweggenommen werden.

Im einstweiligen Rechtsschutz sind regelmäßig die Verfahren der §§ 80, 80a und 123 VwGO zu unterscheiden. Während ein Verfahren nach § 80a VwGO nur in Drei-Personen-Konstellationen denkbar ist (vergleiche Überschrift!), werden von Anträgen nach § 80 VwGO und § 123 VwGO Zwei-Personen-Verhältnisse erfasst. Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich, dass Anträge nach § 123 VwGO subsidiär zu jeden der §§ 80 bzw. 80a VwGO sind.

§ 80 VwGO ist – wie im Übrigen auch § 80a VwGO – im 8. Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung, „Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen“, geregelt. Aus der Abschnittsüberschrift kann bereits erschlossen werden, dass die Voraussetzung beider Verfahren die Existenz eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 (Landes-)VwVfG ist. Für Verfahren nach § 80a VwGO geht dies ggf. noch deutlicher aus der (Klammer-)Überschrift „Verwaltungsakte mit Doppelwirkung“ hervor.

1. Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Grundsätzlich muss es sich also um eine Zwei-Personen-Eilkonstellation handeln, in der ein Verwaltungsakt existiert.

Um die Bedeutung der Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO,

„Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.“,

vollständig zu erfassen, sind zunächst die Absätze 1 und 2 der Vorschrift einzubeziehen. Vergessen werden darf auch nicht, in welchem Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung sich die Regelung befindet: Bei den „Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen“. Auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind nur statthaft, wenn entweder ein Verwaltungsakt aufgehoben oder aber der Erlass eines solchen erstrebt werden soll.

Annahme 1: Es wurde ein Verwaltungsakt erlassen.

Annahme 2: Gegen diesen Verwaltungsakt will der Adressaten vorgehen.

Der Adressat wird nun einen Widerspruch oder die Klage erheben. Es wird sich dabei um eine Anfechtungsklage handeln, da der Adressat eines Verwaltungsaktes gegen diesen lediglich vorgehen wollen wird, wenn er durch ihn „beschwert“ ist und er ihn beseitigen will.

In § 80 Abs. 1 VwGO wird angeordnet:

„Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).“

Sobald der Adressat also einen Widerspruch oder die Anfechtungsklage erhoben hat, ist die beschwerende Wirkung des Verwaltungsaktes suspendiert. Der Adressat „hat seine Ruhe“ bis über die Angelegenheit abschließend entschieden ist.

Allerdings gibt es auch zu diesem Grundsatz Ausnahmen, die in Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift benannt werden:

„Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1. bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,

2. bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,

3. in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,

4. in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.“

Sobald eine dieser Ausnahmen einschlägig ist, ist der Adressat des Verwaltungsaktes also trotz seiner Gegenmaßnahmen den Nachteilen ausgesetzt, die ihm auferlegt wurden.

Zweckmäßig ist es, ihm bei besonderer Eilbedürftigkeit die Chance zu geben, die Angelegenheit sofort von dem Gericht der Hauptsache überprüfen zu lassen. Diese Möglichkeit wird durch § 80 Abs. 5 VwGO (siehe oben) gegeben.

Bezüglich der Konstellationen des Absatzes 2 S. 1 Nr. 1-3 kann die aufschiebende Wirkung, die bisher nicht bestand, angeordnet werden. Sollte eine sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes nach Nr. 4 angeordnet worden sein, kann die aufschiebende Wirkung durch das Gericht wiederhergestellt werden.

Die Überprüfung erfolgt regelmäßig allerdings lediglich nach Lage der Akten („summarisch“) ohne weitere Beweiserhebung. Damit auf diesem Weg keine abschließenden Tatsachen geschaffen werden können, darf die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen werden.

II. Anträge nach § 80a VwGO

Ein Verwaltungsakt ergeht meist gegenüber einem Adressaten. Dieser wird entweder durch den Verwaltungsakt begünstigt oder betroffen im Sinne einer „Belastung“ (vgl. oben – Anfechtungs- oder Verpflichtungskonstellation). Denkbar ist es aber, dass der Verwaltungsakt Drittwirkung entfaltet. Durch Vorhaben, die dem einen genehmigt werden, können Dritte belastet werden und umgekehrt.

In diesen Konstellationen kann ein Antrag nach § 80a VwGO statthaft sein:

(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde

1. auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 die sofortige Vollziehung anordnen,
2. auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.

(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 die sofortige Vollziehung anordnen.

(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.“

Die Anträge können – soweit der eingelegte Rechtsbehelf ein Widerspruch ist ? bei der Behörde gestellt werden (vgl. Absatz 1 der Vorschrift) oder bei Gericht (vgl. Absatz 3 der Vorschrift, der sodann mitzuzitieren ist).

a) Konstellation I: § 80a 1 Nr. 1 VwGO [iVm § 80a Abs. 3 VwGO]

Ein Antrag nach § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist möglich, wenn ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen einen Verwaltungsakt einlegt, durch den er belastet wird, aber durch den der eigentliche Adressat begünstigt wird.

Durch die Einlegung des Rechtsbehelfes des Dritten wird nämlich der Verwaltungsakt suspendiert, § 80 Abs. 1 VwGO. Der Begünstigte hat so lange keinen „Nutzen“, bis über den Rechtsbehelf entschieden wird. Er kann allerdings seinerseits versuchen, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO herbeizuführen – indem er einen Antrag nach § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO stellt.

b) Konstellation II: § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO [iVm § 80a Abs. 3 VwGO]

Auch in der Konstellation des § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen einen Verwaltungsakt ein, der ihn belastet, aber seinen Adressaten begünstigt. Dieser Verwaltungsakt war allerdings nach § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar, was bedeutet, dass der Rechtsbehelf des Dritten keinen Suspensiveffekt hatte.

Der Dritte verfolgt demnach das Ziel, den Suspensiveffekt wiederherzustellen und begehrt mit seinem Antrag die Wiederanordnung desselben.

c) Konstellation III: § 80a Abs. 2 VwGO [iVm § 80a Abs. 3 VwGO]

Das gedankliche Pendant zu den Anträgen nach Absatz 1 ist in Absatz 2 der Vorschrift geregelt. In dieser Konstellation hat ein Betroffener (Wortlaut beachten!) einen belastenden Verwaltungsakt erhalten. Der Betroffene ist der Adressat. Durch diesen Verwaltungsakt werden aber für einen Dritten begünstigende Wirkungen entfaltet. Der Adressat bzw. Betroffene wehrt sich nun gegen den Verwaltungsakt, der ihn belastet, und legt einen Rechtsbehelf ein. Damit wird gemäß § 80 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsakt suspendiert, bis über die Angelegenheit abschließend entschieden wurde. Der begünstigte Dritte kann „sich“ des Suspensiveffektes „entledigen“, indem er einen Antrag nach § 80a Abs. 2 VwGO stellt und daraufhin die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wird.

3. Antrag nach § 123 VwGO

Ein Antrag nach § 123 VwGO hat dem Wortlaut der Vorschrift nach einen wesentlich weiteren Anwendungsbereich. Mit diesem Antrag kann – so scheint es ? jede denkbare Sicherung oder Regelung erstrebt werden. Daher ist in § 123 Abs. 5 VwGO die Subsidiarität dieses Antrages gegenüber derjenigen der §§ 80, 80a VwGO angeordnet worden. Zu unterscheiden ist die Sicherungsanordnung nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift von der Regelungsanordnung nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift:

„Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.“

Aus dem Wortlaut ergibt sich außerdem, dass der Antrag nur bei Gericht gestellt werden kann.

Eine Sicherungsanordnung wird erstrebt, wenn es darum geht, den bisherigen Zustand („Status Quo“) zu erhalten.

Die Regelungsanordnung hat hingegen eine offensive Zielsetzung – der Antragsteller begehrt die vorläufige Regelung eines Zustandes, der bislang ungeregelt ist – er begehrt insoweit sogar eine Erweiterung seines Rechtskreises.

4. Statthafter Antrag im Fall des „Flüchtlingsheims“

Nach dieser kurzen Systematisierung sollte es möglich sein, die Antragsart herauszufiltern, die der besprochenen Entscheidung zugrunde liegt. Dabei muss sich der Sachverhalt noch einmal vor Augen geführt werden:

Die Freie und Hansestadt Hamburg will im ehemaligen Kreiswehrersatzamt eine Flüchtlingsunterkunft errichten. Dazu bedarf es einer Genehmigung, die dem Bezirksamt Eimsbüttel von der Baubehörde auch erteilt wird. Gegen diese Genehmigung wenden sich einige Eigentümer der angrenzenden Grundstücke, da sie Nachteile durch die Gegenwart der Flüchtlinge befürchten und die Genehmigung im Übrigen für rechtswidrig halten. Gemäß § 212a BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung.

Das Bezirksamt erhält also eine Baugenehmigung von der Baubehörde (=einen Verwaltungsakt), durch die es begünstigt wird. Die Anwohner sind beschwert und wollen dagegen vorgehen. Es handelt sich also um eine Drei-Personen-Konstellation.

Wird zunächst das „Grundverhältnis“, also der Verwaltungsakt, der von einer Behörde an einen Adressaten erlassen wird, betrachtet, ist weiterhin festzuhalten, dass der Verwaltungsakt ein begünstigender ist. Es ist jedenfalls ein Antrag nach § 80a Abs. 1 VwGO iVm § 80a Abs. 3 VwGO zu wählen.

Werden obige Ausführungen berücksichtigt, fällt die Entscheidung zwischen Nr. 1 und Nr. 2 nicht mehr schwer:

Gemäß § 212a BauGB iVm § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO besteht eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass durch Widerspruch und Anfechtungsklage der Verwaltungsakt (= die Genehmigung) suspendiert wird, und das Ziel der Dritten muss es gewesen sein, die Vollziehung auszusetzen und damit die aufschiebende Wirkung herzustellen.

Ein Antrag nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO iVm § 80a Abs. 3 VwGO war statthaft.

II. Baurecht

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde (Auszug ab Seite 5 des Beschlusses):

„Am 01. September 2014 beantragte die Beigeladene eine Genehmigung zur Umnutzung des Gebäudes … für die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Nach der Baubeschreibung soll das Gebäude für die Unterbringung von bis zu 220 Personen in 23 Wohneinheiten mit 2 bis 8 Zimmern und Größen von 50 m˛ bis 240 m˛ aufgeteilt werden. Wohnungen sind in allen Geschossen vorgesehen und sollen jeweils mit Küche und Bad ausgestattet werden. Es sind zwei PKW-Stellplätze sowie mehrere Fahrradstellplätze vorgesehen. Nach der Betriebsbeschreibung soll für Gemeinschaftszwecke ein zentraler Aufenthaltsbereich im Souterrain zur Verfügung stehen. Zu diesem sollen ein knapp 34 m˛ großer Raum für eine Fahrrad-AG und eine Spenden-AG, ein 120 m˛ großer unterteilbarer Raum als Gemeinschaftsraum, eine Teeküche sowie zwei Arbeitsräume mit PC/Internetanschlüssen gehören. Ein weiterer Raum soll als Kinderspielzimmer eingerichtet werden, ein Raum ist als Abstellraum für Fahrräder und Kinderwagen vorgesehen. Im Erdgeschoss sind neben Wohnungen auch Räume für die Verwaltung vorgesehen. Westlich des Gebäudes … sind auf dem Grundstück ein Spielfeld von 150 m˛, ein größerer Spielplatz sowie Flächen für ein Urban Gardening – Projekt vorgesehen. Die von dem u-förmigen Gebäude eingeschlossene Freifläche … soll den Bewohnern der Einrichtung nicht zur Nutzung, sondern lediglich als Fluchtweg zur Verfügung stehen.

Die Einrichtung soll der öffentlich-rechtlichen Unterbringung von Wohnungslosen oder Flüchtlingen in einer Wohnunterkunft aufgrund des SOG in Verbindung mit dem SGB II/XII beziehungsweise dem Asylbewerberleistungsgesetz dienen. Für Asylsuchende soll es sich um eine Folgeunterkunft handeln…

Mit Bescheid vom 26. September 2014 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Die Bau- und Betriebsbeschreibung sind Gegenstand der Baugenehmigung geworden. Eine Nachbarbeteiligung erfolgte vor Erteilung der Baugenehmigung nicht. Beschränkungen hinsichtlich der vorgesehenen Nutzung oder hinsichtlich der Geltungsdauer der Baugenehmigung enthält diese nicht.

Die Antragsteller erhoben mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 Widerspruch. Unter demselben Datum haben sie den vorliegenden Antrag gestellt. Die Antragsteller machen geltend, sie würden durch das Vorhaben in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Bei dem Gebiet handele es sich planungsrechtlich um ein besonders geschütztes Wohngebiet… Das genehmigte Vorhaben sei als soziale Einrichtung zu qualifizieren. Daran ändere die Unterteilung der Einrichtung in abgeschlossene Wohneinheiten nichts. Auch wenn die Unterbringung wohnähnlich erfolge, handele es sich nicht um Wohnen im bauplanungsrechtlichen Sinn. Es bleibe eine soziale Einrichtung… Einen Verstoß des Vorhabens gegen das Rücksichtnahmegebot machen die Antragsteller dagegen ausdrücklich nicht geltend.

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung müsse schon deswegen der Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller eingeräumt werden, weil die Antragsgegnerin angesichts des starken Zustroms von unterzubringenden Flüchtlingen darauf angewiesen sei, die Möglichkeiten für die Unterbringung von Flüchtlingen zügig zu erweitern. Auch werde der Widerspruch der Antragsteller voraussichtlich erfolglos bleiben. Bei dem Vorhaben handele es sich nicht um eine soziale Einrichtung, sondern um eine im besonders geschützten Wohngebiet ohne Weiteres zulässige Einrichtung, die dem Wohnen diene. Es handele sich nicht um eine klassische Gemeinschaftsunterkunft. Angesichts der Unterteilung der Einrichtung in 23 abgeschlossene Wohneinheiten, in denen die Unterzubringenden vorwiegend in familiären Zusammenhängen untergebracht werden sollen, entspreche die geplante Nutzung praktisch einer Wohnnutzung.

Ergänzend vertritt die Antragsgegnerin die Auffassung, die Antragsteller … könnten sich auf einen Gebietserhaltungsanspruch nicht berufen, weil sie ihre Grundstücke selber planwidrig nutzten [in Form eines Architekturbüros und einer Unternehmensberatungsgesellschaft mbH]. Außerdem sei die Schutzklausel in der Gebietsfestsetzung funktionslos geworden. Das Plangebiet werde entgegen der Festsetzung vielfach gewerblich genutzt. Schließlich macht die Antragsgegnerin geltend, das Vorhaben sei jedenfalls im Wege der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig.“

1. Einordnung

Im Rahmen des Eilverfahrens sind das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der Vollziehbarkeit und das private Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung der Genehmigung gegeneinander abzuwägen. Maßgeblich für die Beurteilung des Überwiegens des Vollziehungsinteresses ist, ob die Genehmigung bei summarischer Prüfung rechtmäßig erscheint. An der Vollziehbarkeit einer höchstwahrscheinlich rechtswidrigen Genehmigung kann aus rechtstaatlichen Gründen nämlich kein Interesse bestehen.

Eine „Genehmigung zur Umnutzung“ ergeht gemäß § 58 Abs. 1 HBauO in Hamburg als Baugenehmigung im Sinne des § 72 HBauO. Eine Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen stehen.

Das Verwaltungsgericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die angegriffene Baugenehmigung aller Voraussicht nach rechtswidrig ist, da sich die Antragsteller auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen können, bzw. das Vorhaben auch im Übrigen hinsichtlich der Art und des Umfangs der Nutzung nicht genehmigungsfähig ist.

Die nachfolgende Abwägung entspricht somit den Überlegungen, die in der Bearbeitung eines Klausurfalles im Rahmen der Begründetheit anzustellen wären.

2. Gebietserhaltungsanspruch

Die Antragsteller haben sich auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen.

a) Herleitung des Gebietserhaltungsanspruches

Ausgangspunkt der Überlegungen zum Gebietserhaltungsanspruch ist die Annahme, dass die Bewohner eines Baugebietes eine „nachbarliche Schicksalsgemeinschaft“ bilden.

Da alle Bewohner den Einschränkungen ihres Grundrechtes auf Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG durch den Bebauungsplan bzw. weitere Vorschriften unterworfen sind, besteht nicht nur ein nachbarliches Austauschverhältnis, sondern sie können ihrerseits darauf vertrauen, dass auch andere Bewohner des Gebietes die geltenden Vorschriften einhalten. Der Gebietserhaltungsanspruch ist somit ein Abwehranspruch gegen gebietsunverträgliche, d.h. weder allgemein noch ausnahmsweise zulässige Vorhaben.

b) Anwendung des Gebietserhaltungsanspruches

Die Antragsteller durften sich auch auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen.

aa) eigene plankonforme Nutzung

Aus der Herleitung des Gebietserhaltungsanspruches folgt bereits, dass der Anspruchsteller seinerseits sein Grundstück plangemäß nutzen muss. Anderenfalls würde das nachbarliche Austauschverhältnis gestört.

Die Sophienterrassen bzw. die Grundstücke der Antragsteller sowie das Kreiswehrersatzamt liegen in einem besonders geschützten Wohngebiet im Sinne des § 10 Abs. 4 BPVO bzw. § 3 BauNVO. Im Zusammenhang mit dem alten Planungsrecht gelten einige Vorschriften der Baupolizeiverordnung von 1938 fort. Diese betreffen die sogenannten Baustufenpläne, die mit Erlass des Baugesetzbuches in einfache Bebauungspläne überführt wurden und weiter Geltung entfalten, solange sie nicht durch neue Bebauungspläne überplant sind.

Einer der Antragsteller betreibt ein Architekturbüro, ein weiterer eine Unternehmensberatung, die als GmbH organisiert ist. Soweit freiberufliche Tätigkeiten bzw. diesen ähnliche Tätigkeiten in dem Plangebiet unzulässig wären, dürften sich die Anspruchsteller nicht auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen, da sie selbst sich nicht an die geltenden Beschränkungen der Eigentumsfreiheit im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG hielten.

In § 13 BauNVO wird angeordnet, dass in den Baugebieten nach den §§ 2 - 4 BauNVO Räume und in den Baugebieten nach den §§ 4a – 9 BauNVO sogar Gebäude zur Berufsausübung freiberuflich Tätiger und in ähnlicher Weise ihren Beruf Ausübender zugelässig sind.

Per definitionem haben Freie Berufe die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung zum Inhalt. Zu den Freien Berufen gehören im Wesentlichen heilkundliche, rechts- bzw. wirtschaftsberatende, kulturelle oder technische bzw. naturwissenschaftliche Berufe. Auch die Berufsbilder des Architekten und des Unternehmensberaters unterfallen diesem Berufsbild.

Soweit die Unternehmensberatung jedoch in der Gesellschaftsform der GmbH organisiert ist, bestehen Zweifel an der Anwendbarkeit des § 13 BauNVO. Am Markt handelt nämlich gerade die Kapitalgesellschaft vertreten durch die Geschäftsführung, nicht aber die dahinter stehenden Personen. Von einer persönlichen und eigenverantwortlichen Leistungserbringung kann daher zunächst nicht ausgegangen werden.

Allerdings betreibt der Antragsteller eine sogenannte „Ein-Mann-GmbH“, die als solche mit seiner Person stark verknüpft ist. Die GmbH wird darüber hinaus in seinem Wohnhaus betrieben. Die von dem Antragsteller gewählte Rechtsform widerspricht somit ausnahmsweise nicht der Anwendbarkeit des § 13 BauNVO.

Entscheidend ist ferner, ob die Tätigkeiten des Architekten bzw. des Unternehmensberaters in einem besonders geschützten Wohngebiet zulässig sind. Zur Bestimmung der Zulässigkeit von Vorhaben und Nutzungen in besonders geschützten Wohngebieten kann § 3 BauNVO analog angewandt werden, da auch nach dem alten Planungsrecht in Baustufenplänen nach der Baupolizeiverordnung Festsetzungen zum Schutz der Eigenart als Wohngebiet getroffen werden konnten.

Das reine Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO dient dem Wohnen. Zulässig sind gemäß Absatz 2 der Vorschrift Wohngebäude und Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebietes dienen. Ausnahmsweise können gemäß Absatz 3 der Vorschrift Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs der Bewohner des Gebietes dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes und sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke zugelassen werden.

Gründe, aus denen sich ergeben kann, dass die Ausübung der Berufe störend in dem Gebiet wirkt, konnten nicht festgestellt werden.

bb) Zwischenergebnis

Damit dürfen beide Antragsteller sich auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen.

3. Art und Umfang des Vorhabens

Maßgeblich für das Eingreifen des Abwehranspruches ist weiterhin, dass das Vorhaben nach seiner Art oder seinem Umfang unzulässig wäre.

Hinsichtlich der Festsetzungen im Baustufenplan ging das Verwaltungsgericht Hamburg von folgenden Angaben aus, die den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt werden:

„Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Baustufenplans H vom 6. September 1955. Dieser enthält als Schutzvorschriften u.a. für diese Grundstücke ein Verbot jeder Art gewerblicher und handwerklicher Betriebe, Läden und Wirtschaften sowie Leuchtreklame. Das Bauvolumen von 1939 darf nicht vergrößert werden. Es darf nur an der Baulinie gebaut werden. Vor- und Hintergärten sind zu erhalten und von jeglicher Bebauung freizuhalten.“ (vgl. Seite 11 des Beschlusses)

a) Funktionslosigkeit der Festsetzungen

Die Antragsgegnerin wandte ein, die Festsetzungen seien funktionslos geworden.

Von einer Funktionslosigkeit eines Bebauungsplanes bzw. eines Baustufenplanes, der in einen einfachen Bebauungsplan überführt wurde, ist immer dann auszugehen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse in dem beplanten Gebiet in einer Art und Weise von den Festsetzungen abweichen, dass auf absehbare Zeit davon ausgegangen werden kann, dass eine Rückentwicklung derart, dass die Festsetzungen mit den faktischen Gegebenheiten übereinstimmen, ausgeschlossen erscheint und dies derart offensichtlich ist, dass kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung der Bestimmungen bestehen kann.

Bei der Ortsbesichtigung haben sich dem Beschluss zufolge keine Anhaltspunkte ergeben, aus denen sich eine derartige Funktionslosigkeit ableiten ließe. Eine weitergehende Prüfung ist in dem Eilverfahren nicht erfolgt und musste auch nicht erfolgen. Es ist davon auszugehen, dass die Festsetzung eines besonders geschützten Wohngebietes mit den eingangs benannten Beschränkungen nicht funktionslos geworden ist.

b) Art des Vorhabens

Für die Frage, ob das Vorhaben seiner Art nach in dem Gebiet zulässig ist, ist § 3 BauNVO als Vorschrift für reine Wohngebiete heranzuziehen (siehe oben). Es müsste sich somit um eine Wohnnutzung handeln oder eine Ausnahme eingreifen.

aa) Wohnnutzung

Bei der geplanten Umnutzung könnte eine Wohnnutzung anzunehmen sein, zumal Wohnungslose und Flüchtlinge ein Obdach in den Sophienterrassen finden sollen. In der erteilten Genehmigung wird überdies von der Schaffung von „Wohneinheiten“ ausgegangen.

Das Verwaltungsgericht Hamburg lehnte eine Wohnnutzung allerdings zu Recht ab.

Unter einer „Wohnung“ wird ein räumlich abgeschlossener Bereich verstanden, der dem einzelnen ein selbstgewählter Zufluchtsort und auf Dauer angelegter Mittelpunkt der privaten Lebensgestaltung ist.

Flüchtlinge und Obdachlose nehmen also keine Wohnung, soweit sie sich in einem ihnen zugewiesenen Arreal aufhalten und dort nächtigen, ohne dass es darauf ankommen kann, ob die Unterbringung über Tag gewährleistet ist. Sie befinden bereits sich nicht freiwillig in dem ihnen zugewiesenen Gebäude, da sie die Unterkunft nicht selbst gewählt haben. Die Unterbringung ist auch nicht auf Dauer angelegt. Die untergebrachten Personen sind weiterhin als Obdach- und damit auch als Wohnungslose zu qualifizieren. Eine Flüchtlingsunterbringung dient ebensowenig dem dauerhaften Verbleib.

Schließlich ist innerhalb der „Wohneinheiten“ nur eine sehr eingeschränkte Form der Privatheit möglich. Zwar ist eine familienweise Unterbringung erwünscht gewesen – festgesetzt wurde diese nicht. Eine derartige Festsetzung kann auch nicht erfolgen, ohne dass der Zweck des Vorhabens insgesamt gefährdet würde.

Es handelt sich mithin nicht um eine Wohnnutzung.

bb) Anlage für soziale Zwecke

Es handelt sich aber um eine Anlage für soziale Zwecke – die vorübergehende Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen, bis diese eine Wohnung finden ?, die ausnahmsweise zugelassen werden könnte.

c) Umfang des Vorhabens

Allerdings muss zur Beurteilung der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens auch sein Umfang berücksichtigt werden.

Der Hauptzweck des reinen Wohngebietes darf durch die ausnahmsweise soziale Nutzung nicht gefährdet werden. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass der Plangeber bereits die gewerbliche Nutzung beschränkt hat. Darin kommt der besondere Schutz des Wohnzweckes abermals zum Ausdruck.

Genehmigt wurde die Unterbringung von bis zu 220 Personen in 23 Wohneinheiten. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend berechnet, dass derartige Verhältnisse sogar dasjenige überstiegen, das bei einer Wohnnutzung üblicherweise zu erwarten wäre. Dazu kommen ferner weitere Gemeinschaftsbereiche innerhalb und außerhalb des Gebäudes.

Das Vorhaben hat in dem Gebiet keine untergeordnete Bedeutung mehr, sondern es ist in hohem Maße geeignet, Störungen in Bezug auf das Wohnen hervorzurufen, die über dasjenige hinausgehen, was in einem reinen Wohngebiet zulässig ist.

In den genehmigten Umfang ist das Vorhaben nicht zulässig.

Auf die Möglichkeit einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist nicht einzugehen, da diese nicht erteilt worden ist.

III. Fazit

Aller Voraussicht nach ist die Baugenehmigung rechtswidrig und wird in einem Hauptsacheverfahren aufgehoben werden. An der Vollziehbarkeit derselben kann aus rechtstaatlichen Gründen jedenfalls kein Interesse bestehen.

Auch wenn die Aufnahme von Flüchtlingen und die Unterbringung von Wohnungslosen aus menschlicher Sicht unerlässlich und in hohem Maße förderungswürdig sind, bestehen an der fachlichen Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Hamburg keine Zweifel.

Dr Heinze & Partner
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